Zum Thema Vertrauenswürdigkeit der Studien: Wer sich näher für PrEP interessiert, möge sich mal insbesondere die aktuelleren, in "entwickelten" Ländern durchgeführten Studien IPERGAY und PROUD ansehen (Google hilft). Es handelt sich um wissenschaftlichen Standards genügende, kontrollierte Studien, d.h. es gab Test- und Kontrollgruppen, die wirksame Truvada-Medikamente bekamen oder nicht. Einige Studien wurden aufgrund der bei hoher Einnahmetreue erkennbaren sicheren Schutzwirkung vorzeitig abgebrochen, um den Menschen in der Kontrollgruppe den Schutz nicht länger vorzuenthalten. Insbesondere interessant sind dabei Studien mit "serodiskordanten Paaren", d.h. Paaren, von denen ein Partner HIV-positiv, einer negativ ist (war) und die regelmäßig Sex haben. Die meisten dieser Studien wurden vor allem mit MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) durchgeführt. Für einen Überblick helfen auch erstmal die deutsche und englische Wikipedia-Seite zu PrEP (bitte beide lesen, sehr unterschiedliche Themenabdeckung).
Die meisten Studien werden aus vielerlei Gründen (u.a. hohe HIV-Infektionsrate) vor allem in Südsahara-Ländern durchgeführt, hier ist in der Regel eine sehr geringe Einnahmetreue (meist weniger als 50%, teilweise noch deutlich darunter) beobachtet worden, welche die Aussagekraft der dann beobachteten (niedrigen) Schutzquoten massiv reduziert. Am häufigsten (das geschieht auch in Ländern der "ersten Welt" nicht selten) werden die Tabletten, die an Teilnehmer der Studie ausgegeben werden, weiterverkauft statt eingenommen. Einige Studien hatten so niedrige Compliance-Quoten, dass sie deshalb vorzeitig abgebrochen wurden.
Ich kenne einen der wissenschaftlich führenden HIV-Spezialisten in Deutschland, der auch entsprechende Ärzteorganisationen leitet, sehr gut. Sein Statement auf meine Frage, ob er mir persönlich die Einnahme empfehlen kann und wie er das Risiko beurteilt, würde ich wie folgt zusammenfassen: "Wer Kondome nicht nutzen will oder kann und das Risiko einer HIV-Infektion stark verringern möchte, sollte PrEP betreiben. Bei 100% Einnahmetreue (Compliance) ist die Schutzwirkung bei täglicher Einnahme spätestens ab dem 6. Tag (für passiven Analsex, wo das höchste Risiko besteht; für andere Praktiken bereits nach 2-3 Tagen) praktisch 100%. Es wurde in allen Studien unter dieser Voraussetzung noch keine einzige Infektion nachgewiesen. Übrigens wird auch in der EU noch in 2016 die Zulassung von Truvada für PrEP erfolgen, voraussichtlich im September oder Oktober."
Für eine Schutzwirkung genügt es also, wenn sie nur für ein Intervall gedacht ist (z.B. für einen Urlaub), sechs Tage vorher mit der Einnahme zu beginnen, dann zuverlässig täglich eine Tablette, und nach Ende des "Risikozeitraums" noch eine weitere Einnahme für 3 Tage. Es wurden und werden auch Studien mit geringeren Einnahmefrequenzen durchgeführt, z.B. nur zweimal wöchentlich oder "on demand" (vor und nach einem einzelnen "geplanten" Sex), diese sind aber trotz teilweise ermutigender Ergebnisse weniger verläßlich, noch nicht vollständig getestet, und auch nicht offiziell zugelassen, empfohlen oder in eine Leitlinie aufgenommen. Auch wenn dadurch erhebliche Einsparungen möglich wären, würde ich (und die meisten Ärzte und Wissenschaftler) zumindest derzeit nicht dazu raten, ein solches Einnahmeschema zu riskieren.
Ich möchte hier nicht die ganze Diskussion (insbesondere im "MSM"-Umfeld sehr intensiv geführt) wiederholen, ob PrEP kontraproduktiv sein könnte, weil sie zu "risikofreudigem" Verhalten verführen könnte; das möge jeder für sich selbst beurteilen, auch vor dem Hintergrund anderer lebensbedrohender Krankheiten wie Hepatitis, vor denen Kondome schützen, PrEP aber nicht, von den "üblichen", gut bethandelbaren STDs wie Syphilis etc. mal ganz abgesehen (auch wenn es inzwischen auch für Hepatitis C eine fast 100% erfolgreiche Therapie gibt, die aber mit 100.000 Euro Behandlungskosten auch nicht eben günstig ist).
Ich persönlich habe PrEP bereits einige Male für begrenzte Zeiträume genutzt und finde es eine Alternative, die unter bestimmten Umständen für bestimmte Situationen eine Alternative zu der (von mir sonst strikt ohne Ausnahme praktizierten) Kondomverwendung darstellen kann und bei korrekter, verläßlicher Einnahme sehr sicher ist. Diese Abwägung muß aber jeder für sich selbst treffen.
Um einen weiter oben gemachten, lustig gemeinten Kommentar aufzugreifen: Ich bin Fallschirmspringer. Tatsächlich! Aber ich benutze dabei einen Fallschirm. Und der hat, wie alle zugelassenen, sogar einen Reserve-Schirm eingebaut für den Fall, daß der Hauptschirm mal nicht funktioniert (und mußte ihn auch schon benutzen).
